Der Ankereffekt (oder im Englischen Anchoring Effect) ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen sich zu stark auf eine bestimmte Zahl, Information oder Referenzpunkt (dem sogenannten „Anker“) verlassen, wenn sie Entscheidungen treffen. Dabei hat oft dieser Anker wenig oder gar nichts mit der eigentlichen Situation zu tun hat. Im Finanzbereich tritt der Ankereffekt häufig auf, wenn wir Entscheidungen treffen, die von einem initialen Wert oder einer spezifischen Information beeinflusst werden, selbst wenn diese nicht rational oder fundiert ist.
Ein paar Beispiele (auch aus meiner Erfahrung)?
Beispiel 1: Du orientierst dich am einem früheren Höchstkurs einer Aktie. Wenn die Aktie beispielsweise von 100 Euro auf 80 Euro fällt, glaubt man, dass sie „günstig“ ist, obwohl der vorherige Höchstkurs keine Aussage über den tatsächlichen Wert der Aktie macht. Gleichermaßen versucht man sich bei schlecht laufenden Aktien einzureden, diese wieder zu verkaufen sobald sie den Anker, in diesem Falle wieder 100 Euro, erreicht haben. Dies ist oft ein Trugschluss, dazu auch mehr im Sunk Cost Fallacy („Fehlschluss der versunkenen Kosten“).
Beispiel 2: Dir werden Rabatte und Preise im Handel angeboten. Als Referenz wird oft ein hoher Ursprungspreise als Anker gesetzt, um einen Rabatt attraktiver erscheinen zu lassen. Ein Produkt, das ursprünglich 200 Euro gekostet haben soll und jetzt für 150 Euro angeboten wird. Oder anstatt der unverbindlichen Preisempfehlung von 500 Euro kostet das Produkt nun „nur“ noch 350 Euro. Oft wird das als Schnäppchen wahrgenommen – unabhängig davon, ob es den Preis tatsächlich wert ist oder ob die UVP jemals marktrelevant war. Hier hilft es dennoch Preise zu vergleichen und zu fragen, ob man das Produkt wirklich braucht um Impulskäufen zu vermeiden. Eine ähnliche Taktik wird verwendet kurs vor Schlussverkäufen oder Events wie Black Friday und co. wo Preise kurzfristig angehoben werden, nur um sie wieder auf den ursprünglichen Wert zu reduzieren, um so einen Anreiz zu schaffen für etwas, was sich gar nicht im Preis verändert hat.
Beispiel 3: Ich kaufe eine Immobilie. Man orientiert sich oft an Angebotspreise oder dem zuletzt genannten Preis einer Immobilie. Dies kann dazu führen, dass ich den Wert der Immobilie über- oder unterschätze, anstatt objektive Faktoren wie Lage, Zustand und Marktumfeld zu berücksichtigen. Stattdessen bildet der erst genannte Preis einen Anker an dem man dann nach oben oder unten verhandelt.
Warum ist der Ankereffekt problematisch?
Eine Referenz zu haben ist in der Regel gut und macht Entscheidungen binär. Dennoch führt der Ankereffekt dazu, dass Entscheidungen nicht vollständig rational getroffen werden, sondern von irrelevantem oder unzureichendem Kontext beeinflusst werden. Dabei werden Risiken oder Chancen überbewertet, weil wir uns zu stark an einem bestimmten Kurswert, einer Prognose oder einem Angebot orientieren und wichtige Informationen übersehen. Und in Verhandlungen können initial genannte Preise den gesamten Verlauf bestimmen, selbst wenn sie nicht angemessen sind.
Der Ankereffekt kommt besonders oft bei der Chartanalyse auf, wenn Trader ihre Entscheidungen übermäßig stark von einem spezifischen Kursniveau, einem vorherigen Höchst- oder Tiefststand oder einem anderen markanten Punkt im Chart beeinflussen lassen. Runde Zahlen wie 100, 500 oder 1.000 wirken oft als psychologische Ankerpunkte. Anleger erwarten, dass diese Marken Widerstände oder Unterstützungen darstellen, was jedoch nicht immer der Fall ist. Dabei verlässt man sich zu stark auf technische Indikatoren wie Fibonacci-Retracements, gleitende Durchschnitte oder Unterstützungs- und Widerstandsniveaus. Diese Indikatoren können als „Anker“ dienen, obwohl die Marktbewegungen von eher fundamentalen Faktoren beeinflusst werden. Wenn ein bestimmtes Chartmuster (z. B. Kopf-Schulter-Formation) in der Vergangenheit funktioniert hat, nehmen Trader oft an, dass es auch diesmal ähnlich verlaufen wird. Doch auch hier ist ein Trugschluss basierend auf einem historischen Anker.
Wie vermeidet man den Ankereffekt?
Der Ankereffekt ist ein subtiler, aber mächtiger Einflussfaktor, der unsere – auch meine – Entscheidungen im Finanzbereich unbewusst prägt. Wir sollten uns mehr bewusst mit unseren eigenen Denk- und Entscheidungsprozessen auseinandersetzen, dann kann man diesen Effekt öfter erkennen.
Erkenne, dass der erste Wert, den du siehst, oft nur ein psychologischer Anker ist und keine objektive Grundlage für Entscheidungen bietet. Basierend darauf stütze deine Entscheidungen auf fundierte Analysen, Fakten und Daten. Bei Angeboten mache ein Preisvergleich und schaue die Preisverläufe der Vergangenheit an. Bei Aktienbewertungen lasse auch Fundamentaldaten in deine Entscheidung einfliessen. Und bei Immobilien – vergleiche mehrere Datenpunkte (z.B. Lage, Zinsniveau) um eine breitere Perspektive zu erhalten. Denn gerade bei hochpreisigen Immobilien kann man viel Geld liegen lassen.
Schlussendlich, wie immer, leichter gesagt als getan, lass dich nicht von scheinbaren Schnäppchen oder Verlustängsten leiten, sondern fokussiere dich auf den tatsächlichen Wert einer Investition.